468.1 Kopenhagen, Innenstadt
In dieser Notiz geht es mir um ein Zensurproblem. Und darum, wie dagegen vorgegangen wurde. „wurde“ - denn das Projekt inzwischen abgeschlossen, so dass ich etwas ausführlicher darüber schreiben kann.
Wie die Überschrift schon andeutet ist es eine Sache in Dänemark.
Damit die Zusammenhänge verständlich sind, muss ich etwas ausholen :
Mathilde Grafström ist Fotografin. Eines ihrer Themen ist der nackte Körper – vorzugsweise in unberührter Natur. Vor etlichen Monaten hat sie eine Ausstellung aus den Ergebnissen ihrer Arbeit zusammengestellt. So etwas passiert täglich überall auf der Welt. Im Grunde ist es also eigentlich keine große Sache und würde hier in den Streiflichtern auch nicht extra notiert werden ... wenn nicht .... ja, wenn nicht Teile der Ausstellung von der örtlicher Polizeibehörde zensiert worden wären.
Wohlgemerkt: In Dänemark, einem Land, in dem man stolz auf seine liberale Tradition ist. Das machte nicht nur mich, sondern auch unsere Freunde von den "Danske Naturister", einem der beiden Naturistenverbände Dänemarks, hellhörig.
Wie schon in vielen Streiflichtern (zuletzt in Nr. 466.4 ) betont, kommt den "Danske Naturister" eine besondere Bedeutung zu: Sie bestimmen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit das Bild des Naturismus in Dänemark.
Geleitet von einem "jetzt erst recht" war (gemeinsam mit der Fotografin Mathilde Grafström) schnell die Idee einer öffentlichen Ausstellung geboren. Mitten in Kopenhagen. Noch genauer: In Nytorv, was zur zentralen Fußgängerzone in Kopenhagen gehört.
Am 25.07.2016 sollte die Eröffnung sein.
Natürlich unter Beteiligung von Vertretern der "Danske Naturister", die sich mit diesem Foto,
http://www.naturister.dk/wp-content/upl ... G_8187.jpg
Foto: Danske Naturister (DN)
welches von einem ihrer Inselausflüge stammt, noch einmal zusätzlich motivierten.
Schon zwei Wochen vor dem Termin berichtet die Presse über die geplante Aktion der Nackten und bereitete die Öffentlichkeit mit diesem Foto :
http://lokalavisen.dk/storyimage/PL/201 ... 719933.jpg
Foto: Danske Naturister (DN)
darauf vor. Die aktive Teilnahme der Nackten an der öffentliche Ausstellung sollte nicht nur der Unterstützung der Fotografin dienen, sondern auch die soziale Akzeptanz der gemischt-geschlechtlichen, einfachen Nacktheit demonstrieren. Und es war mehr als das.
Aber der Reihe nach.
Zwei Tage später machte "Radio24syv" mit der rhetorischen Frage "Er det danske frisind truet ?" (etwa: "Ist der dänische Liberalismus bedroht?“) die geplante Aktion in Kopenhagen zum Thema.
screen shot fb video Radio24syv
https://www.facebook.com/Radio24syv/vid ... 625744777/
Torben Larsen
Torben Larsen von den “Danke Naturister” nutzte die Gelegenheit für mehr Toleranz in der “nackte Sache” zu werben.
Nebenbei: Besagter Torben ist auch Initiator von Nacktwanderungen. Vor zwei Wochen lud er zu einem pilzkundlichen Nacktwanderausflug ein. Darüber will ich hier jetzt aber nicht schreiben. Zurück in die Kopenhagener Innenstadt.
Jetzt mache ich einen kleinen Sprung zum 25.07.16 – dem Veranstaltungstag.
Im Vorfeld wurden über 300 Paletten herbeigeschafft. Aus ihnen wurde eine, über Treppenstufen erreichbare Bühne geformt. An diesen Konstruktionen hingen die großformatigen Bilder der Fotografin.
Bertel Haarder, Kultusminister Dänemarks, war herbeigeeilt, um die Ausstellung zu eröffnen :
http://www.jyllands-posten.dk/pictures/ ... udstilling
(vlnr Mathilde Grafström, Bertel Haarder)
Der in Dänemark bekannte Politiker der Liberalen Partei hat ein paar Worte gesprochen :
„... Jeg synes, hun har en pointe, når hun siger, at mange har et forkert eller uafklaret forhold til deres krop. ...“ (etwa: „Ich denke sie [Mathilde Grafström] trifft es auf den Punkt, wenn sie sagt, dass viele Menschen eine falsche und ungeklärte Beziehung zu ihrem [eigenen] Körper haben.“)
Das klingt doch schon sehr nah an meiner Position – und der Position der „Danske Naturister“, die durch ihre Teilnahme der Veranstaltung eine interessante Erweiterung gaben:
http://www.jyllands-posten.dk/pictures/ ... udstilling
http://www.naturister.dk/wp-content/upl ... 6-0030.jpg
Bild: Danske Naturister (DN)
http://lokalavisen.dk/galleryimage/PL/2 ... 009994.jpg
Dritte von links: Mette Duekilde, die Präsidentin der Danske Naturister
Durch ihre nackte, bewusst gemischt-geschlechtliche Mitwirkung an der Eröffnung wurde die eindimensionale „weibliche Schönheit“ junger Frauen, die die Fotografin in ihren Bildern huldigt, ergänzt und um eine neue Dimension erweitert.
Für die beteiligte Delegation der „Danske Naturister“ war es eine Befriedigung, der Gesellschaft, welche ihnen Freiheiten einräumt, durch ihr nacktes Leben nun ihrerseits etwas „zurückzugeben“ und sie damit noch lebenswerter zu machen. Egal von welcher Seite ich es betrachtet, es war aus allen Blickwinkeln eine „gute Tat“.
Gute Taten müssen belohnt werden :
Als einige der Nackten in einer nahe gelegene „Ausflugs“-Gaststätte Platz nahmen, um sich zu stärken, wurde ihnen – quasi zum Zeichen der Solidarität – eine Rabatt von fast 40 % eingeräumt :
http://www.naturister.dk/wp-content/upl ... 6-0064.jpg
Foto: Danske Naturister (DN)
Mich hat besonders gefreut, dass sich diese Mal nicht nur die „üblichen Nacktivisten“, sondern auch Personen, die ich eher den „gemütlichen Campern“ zuordne, an der öffentlichen Nacktaktion beteiligten. Ich will Gitte und Jørgen Nielsen (auf vorstehendem Foto vorne links und hinten recht) nennen, die mir in letzter Zeit mehrfach positiv auffielen. Ich werde meine Bewertungen neu justieren müssen.
Ursprünglich hatte sich die Fotografin eine größere Beteiligung - insbesondere auch von nicht naturistisch organisierten Personen - erhofft. Das es zu dieser Unterstützung nicht in dem von ihr erhofften Maße gekommen ist, kann u.a. auch daran liegen, dass (verständlicherweise) in der Werbung die Aktion häufig als „Dansk Naturister“-Aktion beschrieben wurde, was Nichtmitglieder schnell auf die Schiene bringt : 'das ist eine interne Sache ... obwohl ich es unterstütze, gehöre ich nicht dazu … meine Beteiligung würde nur die Abläufe stören'. Natürlich gehört auch etwas Mut dazu, sich in kleiner Gruppe nackt in die Innenstadt von Kopenhagen zu stellen.
Ps : Unangenehmer weise wurde ein Teil der Bilder, die auch nachts unbeaufsichtigt auf dem Platz standen, inzwischen Opfer von Vandalismus und Schmierereien. Auch die Beleuchtungsanlagen wurden beschädigt. Hinzu kamen Streitigkeiten mit einem der Modelle, auf die ich hier nicht eingehen will. Das alles führte dazu, dass die Fotografin sich vor wenigen Tagen zum vorzeitigen Abbruch der Ausstellung entschloss – was schade ist, denn vor meinem geistigen Auge sah ich die Bilder bereits in Randers und Aalborg.
468.2 Ganz Paris träumt von der ...
nein, nein … nicht von der Liebe, sondern vom Naturismus.
Ok, ok … vielleicht ist es nicht ganz Paris … aber ich sage euch: Was sich dort in diesen Tagen tut … ist mindestens zwei Notizen wert.
Und es ist zugleich ein Beispiel dafür, was ein kleines post und ein über 80 Jahre alter, inzwischen im Grunde fast vergessener Aufsatz „Communisme et Naturisme“ innerhalb weniger Wochen bewirken können … wenn … ja, wenn die richtigen Leute am Werk sind.
http://www.apnel.fr/actu/images/2016/hu ... sme_gd.jpg
Werden wir konkret: Es geht um die „Fête de l'Humanité 2016“ und um die Beteiligung der „Association pour la Promotion du Naturisme En Liberté (APNEL)“ daran. Anders als das Bildzitat („Communisme...“) vermuten lässt, stand aus der Sicht der Apnel dabei weniger die linke als vielmehr die nackte Politik im Vordergrund. Nächste Woche mehr darüber.
Im Rahmen eines daraus in den letzten Tagen entstandenen Projektes stehen zu Beginn der kommenden Woche Entscheidungen an. Das will ich abwarten.
Darum entfällt heute diese Notiz.
Auch darüber in der nächsten Woche mehr.
Auf zum nächsten Notiz :
468.3 Nackt im „Irrgarten der Sinne“
In dieser Notiz geht es mir um eine Premiere. Dazu müssen wir uns nach Kohren-Sahlis begeben.
„Kohlen-solliß ?? Regenmacher, auf welch entlegenem Kontinent liegt das denn ?“
Erstens heißt das nicht „Kohlen-Solliß“ sondern „Kohren-Sahlis“ und zweitens liegt das gar nicht einmal so weit weg. Um etwas genauer zu sein: Es ist ein Töpferdorf bei Leipzig mit kaum 3000 Einwohnern.
Dort betreiben Karola und Jörg Günther seit 10 Jahren den „Irrgarten der Sinne“.
screen shot https://youtu.be/dX072PgKfhM
Ein solcher Titel macht neugierig und lässt Parallelen zum Nacktwandern vermuten. In der Tat geht es Karola und Jörg um Sinneserfahrung, die auch beim Nacktwandern eine entscheidende Rolle spielt.
Es gibt Nacktwanderwege im Harz und in der Lüneburger Heide. Nicht nur dort. Auch anderswo wird nackt gewandert. In den Minuten in denen ich diese Zeilen tippe z.B. im Burgenland.
Da ist die Idee von einem FKK-Tag im „Irrgarten der Sinne“ eine naheliegende Idee. Sozusagen: Ein eigener Tag für die Nackten.
Gedacht – getan. Etliche Vorbereitungen wurden getroffen. Viele davon sicherlich auch aus der Sorge heraus, dass bei der Premiere etwas nicht „glatt laufen“ könnte.
Am 17.07.16 sollte es dann soweit sein.
Die Wetterprognosen waren nicht sehr viel versprechend. Ob da die Nackten kommen ? Tatsächlich hat es am Morgen des Veranstaltungstages auch etwas geregnet, was sich erst im Laufe des Tage etwas besserte.
Immerhin kamen aber doch 80 Nackte, die einiges an Erfahrungen (und Informationen) beim Besuch der Gartens sammeln konnten.
Nebenbei – und durchaus zum Thema Nackwandern passend – wird den Besuchern fast das ganze Jahr über Gelegenheit gegeben, einen im Garten aufgebauten Barfußpfad zu testen. Sozusagen : „Nacktwandern für die Füße“ :
screen shot https://youtu.be/dX072PgKfhM
Geruchssinn, Geschmackssinn, Tastsinn … und Orientierungssinn sind die Themen des Gartens. Letzteres verdeutlicht dieses Bild-Zitat vom Veranstaltungstag:
Nacktwander-Orientierung-Training im Labyrinth „Wo geht’s hier lang?“
http://www.lvz.de/Region/Geithain/Huell ... r-FKK-Fans (Thomas Kube)
Einen Eindruck vom Angebot des „Irrgartens der Sinne“ gibt :
http://irrgarten-der-sinne.de/
Die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet über die Premiere :
http://www.lvz.de/Region/Geithain/Huell ... r-FKK-Fans
Das Beste kommt zum Schluss dieser Notiz:
Es bleibt nicht bei der Premiere. Weil es trotz des nicht unbedingt idealen Wetters ein Erfolg war wollen die Veranstalter auch im nächsten Jahr einen FKK-Tag anbieten.
Am 13.08.2017.
Oh jeh – wo bringen wir all die Nackten unter ?
„Regenmacher, das wissen wir doch schon alles. Das hat ja sogar schon der DFK vermeldet. Und in den einschlägigen Foren wurde auch darüber geposted“
Ok – dann zur nächsten Notiz.
Über eine Sache, zu der hier vermutlich noch nichts geschrieben wurde und die selbst meinen Freunden beim DFK vollkommen unbekannt (und auch irgendwie „fremd“) sein dürfte :
468.4 Nackte Wahl in USA
In dieser Notiz möchte ich einen schnellen Blick in die USA werfen. Auch dort gibt es mehrere Gruppen die sich der „nackten Sache“ widmen. Hier sind die „American Association of Naturist Recriation (AANR)“ und die im Vergleich dazu etwas kleinere „The Naturist Society (TNS)“ zu nennen. Im Umkreis der TNS arbeitet das „Naturist Action Commitee (NAC)“ und die „Naturist Education Foundation (NEF)“, die sich der politisch, juristischen Auseinandersetzung und der nackten Werbung widmen. Beides sind „nonprofit organisations“. Das NAC beruft sich auf 501(c)(4) und die NEF beruft sich – als nicht politische Organisation – auf 501(c)(3). Übertragen auf die hiesigen Verhältnisse ist das in etwa so etwas wie staatlich anerkannte „Gemeinnützigkeit“.
Genug der Vorrede.
Das ich hier die beiden, bezüglich ihrer aktiven Mitglieder nicht sonderlich großen Gruppen NAC und NEF, in einer eigenen Notiz erwähne, hat einen besonderen Grund :
Dort stand in diesen Tagen eine Wahl an.
Für sich gesehen ist das eigentlich nichts besonderes. Jedenfalls würde das allein noch nicht für eine Notiz in den Streiflichtern ausreichen – denn jeden Tag werden in den unzähligen FKK-Vereinen und -Verbänden Vorsitzende gewählt und Präsidenten ernannt.
Womit wir schon beim ersten Punkt wären : „irgendwie ernannt“ oder von „irgendwie ernannte“ Delegierten gewählt – das ist das häufig benutzte Verfahren, nach dem Präsidien in FKK-Verbänden besetzt werden.
Im Falle des NAC und der NEF war das in diesen Tagen etwas anders. Dort wurden die Führungsmannschaften durch alle Mitglieder der TNS gewählt.
Und die Kandidaten stellen sich so den Mitgliedern :
Les Dearing, Californien
http://naturistaction.org/candidates/Le ... g_2016.jpg
Jim Dickey, Wisconsin
http://naturistaction.org/candidates/Ji ... y_2016.jpg
Susan Rothberg, New York
http://naturistaction.org/candidates/Su ... g_2016.jpg
Bob Morton, Texas
http://naturistaction.org/candidates/Bo ... n_2016.jpg
Judy Williams, British Columbia
http://naturistaction.org/candidates/Ju ... s_2016.jpg
Ich möchte nicht auf alle Kandidaten eingehen, zumal kaum ein Leser dieser Zeilen Mitglied der TNS und damit stimmberechtigt gewesen sein dürfte, will aber einschieben, dass solche Präsentationsfotos in den Verbänden des DFK – es gibt mehrere Landesverbände, die grob nach den Grenzen der Bundesländer organisiert sind – höchst selten sind.
Ach - eine Ergänzung schiebe ich doch noch hinterher: Judy Williams, die sich seit vielen Jahrzehnten aktiv für die Entwicklung von FKK-Stränden einsetzt, und deren Namen auf engste mit dem kanadischen „Wreck Beach“ verbunden ist, nahm vor nicht all zu langer Zeit an einer Anhörung im „Parliament's House of Commons" teil, um die Rechte der Nackten zu verteidigen. Ich habe mir Videoaufzeichnungen von der Anhörung kommen lassen. Sie überzeugten mich.
Aber wo wir nun schon einmal in Kanada sind, schauen wir doch schnell noch bei Stéphane Deschênes und dem „Bare Oaks“ (einem kanadischen FKK-Gelände) vorbei. Dort wurde nämlich von kurzem ein Video gedreht, über das ich nun notieren will:
468.5 Book it to Fresno
Zu warmen Gitarrentönen erzählt Bredan Canning die Geschichte eines jungen Mannes, der nach langer Zeit seinen Vater wieder trifft und dabei eine ganz neue Erfahrung macht.
Das Musikvideo "spricht für sich", so dass ich mir Bemerkungen zur Handlung ersparen kann:
https://vimeo.com/178635448
Eine Kleinigkeit will ich aber ergänzend hinterher schieben:
Das Video entstand auf dem „Bare Oaks“, einem FKK-Gelände in Kanada, dessen Besitzer Stéphane Deschênes nicht nur für einige Zeit der außer-europäische Vertreter der INF war, sondern der es sich auch nicht nehmen ließ, darin mitzuwirken :
screen shot https://vimeo.com/178635448
Gefallen hat mir auch die ikonische „Taufe“, die die Nackten irgendwie in die Nähe einer Sekte zu rücken scheint. Ich mag diese Art von Humor, die haarscharf auf der Grenze zwischen „ernst“ und „nicht ernst gemeint“ balanciert und den Adressaten irgendwie ratlos zurück lässt.
Ratlos endet die im Video erzählte Geschichte aber nicht.
Zum Schluss „reitet“ der inzwischen gereifte und befreite junge Mann mit seinem Vater hinaus „in die freie Welt“.
„Regenmacher, war das jetzt 'ernst' oder 'nicht ernst' gemeint ?“
Sag ich nicht.
Soviel Humor muss sein.
Alle Grüße
michael regenmacher / strothjohann
Bad Breisig
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