Diese Diskussion hat das Thema "Warum wir uns entblössen" meiner Meinung nach verfehlt. Es wurde über Akzeptanz und Reaktionen gesprochen, aber so gut wie gar nicht über die persönlichen Beweggründe der Handelnden. Für die Teilnehmer war der soziale Kontext einer Bekleidung relevant, aber nicht der praktische Nutzwert bzw. der Nicht-Nutzwert (Stichwort Badebekleidung).
Ich möchte mal Arias gute Zusammenfassung kommentieren:
Aria hat geschrieben:- Unser natürlicher Zustand ist mittlerweile der bekleidete Zustand.
Hier wurde natürlich mit normal verwechselt. Das ist für mich ein großer Unterschied.
Aria hat geschrieben:- Nacktheit ist auch die Preisgabe der Intimität, d.h. die nackte Haut ist hoch erotisch konnotiert, ist hoch sexualisiert.
Das stimmt tatsächlich - allerdings nur für diejenigen, die Nacktheit selber als schamhaft empfinden.
Was mir komplett in der Diskussion gefehlt hat, ist die Behandlung der Kommerzialisierung von Nacktheit. In meinen Augen ist dies der Hauptgrund der neuen Prüderie, durch die Kommerzialisierung wird der nackte Körper zum Objekt und die wenigsten Menschen möchten gerne als Objekt betrachtet werden. Die früheren religiösen Moralvostellungen sind bei uns (im Gegensatz zum Islam) nicht mehr hauptsächlich der Grund für ein Schamgefühl.
Aria hat geschrieben:- Die Hippie-Bewegung hätte Ungepflegtheit mit Natürlichkeit verwechselt.
Das ist Unsinn - sie haben es viellicht öfters miteinander verbunden, es aber nicht verwechselt.
Aria hat geschrieben:- Jetzt ist der glatte, gestaltete Körper das Ideal, wie es einst auch in der Antike gewesen ist. Derjenige, der jetzt diesem Ideal nicht entspricht, gilt als ungepflegt; er hat es im moralischen Sinne versagt, weil er es offensichtlich nicht geschafft hat, ins Fitnessstudio zu gehen und aus sich was zu machen.
Mit den bei dem meisten jungen Leuten gar nicht mehr vorhandenen Vorstellungen der Antike hat das nichts zu tun, auch dieses Körperideal ist ein Ergebnis einer Kommerzialisierung. An diesem "Körperideal" verdienen viele Milliardenindustrien...
Aria hat geschrieben:- Auch die frühen FKK-ler haben schon darauf geachtet, einen schönen, schlanken Körper zu haben bzw. zu zeigen, dies auch, weil sie die antiken Statuen als Referenz ansahen.
Anfang des letzten Jahrhunderts hat die Antike mit ihrem "In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist" tatsächlich eine Renaissance gehabt, heutige FKK-Vereine und Saunalandschaften beweisen aber empirisch belegbar das Gegenteil...
Aria hat geschrieben:- Das Feiern der Nacktheit als Hinwendung zur Natürlichkeit der FKK-Bewegung korrespondiert(e) gleichzeitig mit der ärgsten Prüderie, die man sich denken kann.
Einer der Hauptfehler bei der Beurteilung von historischen Ereignissen ist das Herstellen von direkten Kausalitäten, wo es keine gibt. Zur gleichen Zeit entstand auch die Kommerzialisierung von Nacktheit und Sex und hier sehe ich die Ursache der neuen Prüderie (siehe oben).
Aria hat geschrieben:- Die Philosophen sagen: Wenn wir uns der Nacktheit schämen, schämen wir uns letztlich nur unserer tierischen Herkunft. Unsere Kleidung, die ja immer eine künstliche ist, soll diese Verwandtschaft kaschieren, weil uns gerade das am augenscheinlichsten von den Tieren unterscheidet.
Er sagte zwar "die meisten Philosophen", aber auch das ist Unsinn - Philosophen sind ein ein äußerst kontroverser und streitbarer Haufen. Außerdem halte ich die These als solche für zweifelhaft, denn optische Elemente (Nacktheit) spielt für die meisten Säugetiere außer Primaten keine Rolle, hier sind Pheromone viel wichtiger und Geschlechtsmerkmale durch das Fell bedeckt. Religiöse Wertvorstellungen und Statussymbolik dürften da eher wichtig sein.