http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OLG%20Karlsruhe&Datum=04.05.2000&Aktenzeichen=2%20Ss%20166/99In dieser leider schon etwas älteren Entscheidung hat das OLG Karlsruhe sich mit dem Thema "Nacktjoggen" beschäftigt. Sie ist vielen bekannt. Gleichwohl möchte ich doch auf einige Punkte eingehen:
1. Verfassungsmäßigkeit von § 118 OWiG
Vehement wird hier teilweise vertreten, § 118 OWiG sei verfassungswidrig. Hierzu hat das benannte OLG indes entschieden:
"Zunächst bestehen gegen die Verfassungsgemäßheit des § 118 OWiG keine Bedenken. Die Vorschrift ist als Ersatzvorschrift für § 360 Abs. 1 Nr. 11 Alt. 2 StGB a.F. (grober Unfug) in das Gesetz aufgenommen worden. Da das BVerfG (vgl. BVerfGE 26, 41, 43) diese Bestimmung mit Art. 103 Abs. 2 GG für vereinbar erklärt hat, kann es deshalb für die Rechtspraxis nicht zweifelhaft sein, dass § 118 OWiG in gleicher Weise dem Bestimmtheitsgebot entspricht (KG NStE Nr. 1 zu § 118 OWiG; Göhler OWiG 12. Aufl. § 118 Rn. 1; Senge in KK OWiG § 118 Rn. 1)."
Hieran hat sich trotz des Zeitablaufs nichts geändert. Auch zu anderen Anwendungsfällen ist die Verfassungswidrigkeit von § 118 OWiG nicht festgestellt worden. Die abweichende Rechtsansicht, die hier u.a. wiederholt von Puistola dargestellt wird, ist eine absolute Mindermeinung, die weder in der herrschenden Lehre noch - viel wichtiger - in der Rechtspraxis ernsthafte Berücksichtigung findet. Es kann dahin stehen, ob eine andere rechtliche Einordnung vielleicht wünschenswert wäre. Das mag bitte an anderer Stelle diskutiert werden. Ich kann nur jeden Leser davor warnen, sich im Falle eines Verfahrens allein auf diese Mindermeinung zu stützen, ein Erfolg ist nicht zu erwarten. Man mag dazu - auch ohne guten Verteidiger - durchaus einen Satz verlieren, auch um bereits hier für die Problematik der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu sensibilisieren, bevor im Weiteren sodann systematisch zur Subsumtion vorgetragen wird. Wird insoweit jedoch beispielsweise zu emotional oder mit zu großer (auch persönlicher) Härte vorgetragen, ich verweise bewusst auf Puistolas hier im Forum vertreten Stil, könnte der Schuss ganz schnell nach hinten losgehen, nämlich mit dem Gegenteil des gewünschten Ergebnisses.
Es besteht aber im Grunde kein Anlass, sich hier intensiv mit der Verfassungsgemäßheit des § 118 OWiG zu befassen.
Angewendet worden ist die Vorschrift nämlich nach meinen Erkenntnissen im deutschen Rechtsraum nur auf solche Personen, die kontroverse Entscheidungen und die öffentliche Diskussion zur offenen Nacktheit nahezu gesucht haben. Wer sich aber hinreichend abseits von sicher zu erwartenden Begegnungen aufhält, dürfte auch bei tatsächlicher Begegnung mit Dritten nichts zu befürchten haben.
Denn:
2. Positive Folgen der benannten Entscheidung
Vielfach übersehen, enthält die Entscheidung des OLG auch zwei durchaus positive Aspekte.
Zum einen wird schon im Leitsatz der einschränkende Begriff des "Aufdrängens" verwendet. Konkret hatte ein Nacktläufer auf seinen Lauf im Wohngebiet trotz vorheriger ablehnender öffentlicher Äußerungen sogar mit einer Flugblattaktion aufmerksam gemacht. Für den gewöhnlichen Nacktjogger pp. sind die rechtlichen Ausführungen - auf die hier nicht weiter eingehen möchte, vielleicht später - mithin nur am Rande von Bedeutung. In der abgelegenen Natur gilt etwas anderes als in der Einkaufsstraße. Hierzu verhält sich Entscheidung gar nicht.
Zum anderen öffnet die Entscheidung doch in unserem Sinne sogar Tür und Tor für einen leidenschaftlichen sachlichen Vortrag. Das OLG Karlsruhe führt nämlich aus:
"Die Anschauungen darüber, ob das Schamgefühl der Allgemeinheit in diesem Sinne tangiert wird, sind freilich
zeitbedingt und damit
dem Wandel unterworfen. Doch hat die Rechtsprechung sich nicht nach den Auffassungen besonders prüder oder ungewöhnlich großzügiger Kreise zu richten (BGHSt 3, 295; 23, 40 ff.). Allerdings sind
tiefgreifende und nachhaltige Änderungen der sittlichen Wertvorstellungen der Allgemeinheit, die von einer gegenüber früheren Zeiten unbefangeneren und freieren Auffassung hinsichtlich der Konfrontation mit menschlicher Nacktheit gekennzeichnet sind, zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Beurteilung, ob das nackte Auftreten in der Öffentlichkeit die in der ungeschriebenen Gemeinschaftsordnung verankerte Toleranzgrenze überschreitet, ist, dass die zu bewertende Handlung
objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzt, ohne deren Beachtung auch eine für Entwicklungen offene Gesellschaft nicht auskommt (Senge in KK-OWiG § 118 Rn. 6)."
Danach hängt die Latte für ein Bußgeld bereits ganz schön hoch. Und weiter:
"Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls."
Nur konkret zum Fall:
"Das unbekleidete Präsentieren eines menschlichen Körpers auf öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen steht jedenfalls nach wie vor regelmäßig im Gegensatz zu den allgemein anerkannten Regeln der ungeschriebenen Gesellschaftsordnung (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann OWiG § 118 Rn. 5)."
Mit anderen Worten: Wer sich - ohne Exhibitionist zu sein - in der direkten Öffentlichkeit präsentiert (aufdrängt), handelt derzeit (Stand: 2000, aber wohl noch unverändert) regelmäßig (also nicht ausnahmslos, stets) nach OLG Karlsruhe vom 04.05.2000 ordnungswidrig.
3. Fazit
Zum einfachen Nacktwandern usw. findet sich hier mithin überhaupt keine Untersagung. Im Gegenteil - hier können wir mit dem Wandel der Zeit, einer Liberalisierung der Einstellung, der zunehmenden Bedeutung von Nacktwanderungen, dem Erleben der Natur und natürlicher Gefühle usw. argumentieren. Wenn man nicht so ziemlich alles falsch macht, dürfte von einem Aufdrängen und der groben Missachtung minimaler Grundregeln nicht auszugehen sein.