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Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von HTJ » Mi 24. Mär 2021, 17:09

Der von Bummler verlinkte Artikel über die amerikanischen Gewerkschaften ist ein sehr guter Artikel. Es ist nämlich die Frage, warum in einer Demokratie Politiker, die Politik gegen die Gewerkschaften machen, nicht einfach abgewählt werden. In den Artikel wird nämlich gesagt, Arbeiter sind auch Konsumenten. Und solange die Menschen denken, sie profitieren von einer neoliberalen Politik, werden die Politiker auch wieder gewählt. Aber gerade in den USA sieht man, daß eine solche Politik auch nach hinten losgehen kann, wenn eben viele nicht mehr davon profitieren.
Nun sind wir ja ein FKK-Forum. So schließt sich der Kreis. Der allgemeine Zeitgeist lässt nämlich FKK zurückgehen. In einer neoliberalen Welt kann man es sich ganz einfach nicht leisten, in Sachen Nacktheit ein abweichendes Verhalten zu zeigen. In Ländern, in denen kein soziales Netz existiert, ist auch die Prüderie am größten. Und das liegt nicht nur an der Religion.

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Aria » Mi 24. Mär 2021, 18:45

HTJ hat geschrieben:In einer neoliberalen Welt kann man es sich ganz einfach nicht leisten, in Sachen Nacktheit ein abweichendes Verhalten zu zeigen.
Alle Versuche, FKK mit der Wirtschaft in Verbindung zu setzen, sind zum Scheitern verurteilt, weil das Beispiel der 1920er Jahre uns zeigt, dass daran nichts sein kann: In jener Zeit gab es ab 1918 den Achtstundenarbeitstag und 1923 eine Inflation von gigantischem Ausmaß. Ebenfalls ab 1923 gab es daneben wieder den Zehnstundenarbeitstag und ab 1929 eine Wirtschaftskrise, die alles bis dahin gewesen in den Schatten stellte. Und dennoch stieg die Anzahl der FKK-ler während dieser ganzen Zeit, sowohl in den Arbeiterkreisen als auch bei der High Society; weil die FKK gesellschaftlich anerkannt war, konnte sie bis zuletzt florieren - eben bis die Nazis 1933 sie verboten.

HTJ hat geschrieben:In Ländern, in denen kein soziales Netz existiert, ist auch die Prüderie am größten. Und das liegt nicht nur an der Religion.
In den Ländern ohne sozialen Netzes ist auch die Religion – Opium fürs Volk – am stärksten, denn sie kann sich dort als Anwältin und Helferin der Armen profilieren, natürlich nicht ohne sie ständig daran zu erinnern, ihr Schicksal anzunehmen und auf ein besseres Leben im Jenseits zu hoffen.

Wir haben die soziale Gesetzgebung nicht den Kirchen, sondern der Sozialdemokratie zu verdanken.

 
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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von gymnosoph » Mi 24. Mär 2021, 19:23

Wir haben die soziale Gesetzgebung nicht den Kirchen, sondern der Sozialdemokratie zu verdanken.


Das ist richtig - und der zentrale Unterschied zwischen christlicher und sozialdemokratischer (im weiteren Sinne zwischen rechter und linker) Sozialgesetzgebung.
Christliches Kümmern um die Schwachen ist immer CARITAS. Nächstenliebe. Die ist essentiell freiwillig und in der konkreten Form und Höhe beliebig. Dem einen gebe ich etwas, dem andern (der könnte z. B. eine andere Religion haben) wenig und dem dritten nichts.
Aus diesen Prämissen stammen die Fürsorgesysteme in der Neuen Welt. Die USA haben ein sehr sehr ausgefeiltes Stiftungswesen, das z. T. sehr großzügige Stipendien an Student(inn)en vergibt, aber in der Regel an die eigene Klientel.
Das europäische System entstammt in vielen Strukturen dem Vorbild der Bismarckschen Sozialgesetzgebung. Und die geschah aus Angst vor den gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (sein Zitat), nicht aus Barmherzigkeit.
Heute wird zumindest ein Teil der Sozialleistungen als ein einklagbares Menschenrecht angesehen (Art. 20 GG).
Da selten die "Linken" dauerhafte belastbare Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat haben und das Geld nie reicht, ist die Verwirklichung immer kompromissbehaftet. Man könnte sich z. B. ein einkommensunabhängiges BAföG (nicht rückzahlbar) vorstellen, die Empfänger sind schließlich erwachsen. Aber dies ist in diesem Lande nicht mehrheitsfähig.
Kindergeld ist einkommensabhängig, Kinder reicher Eltern erhalten de facto mehr (da es Steuerfreibeträge für Kinder gibt). Ein gleich hohes Kindergeld in (mindestens) der Höhe des Hartz-4-Satzes für alle Kinder ohne jegliche Steuerermäßigung - das wäre die linke Perspektive, aktuell gibt es für bestimmte Kinder einer bestimmten Zielgruppe halt mehr, das ist die rechte Perspektive.

Und was hat das mit FKK zu tun? Mehr als man glaubt. Nacktheit macht Menschen gleich. Kein Vorführen extravaganter Badebekleidung.

Habe ich erlebt: An wilder Badestelle. Nebenan. Die jungen Männer waren nackt, die Mädels im Bikini.
Aufgefordert, sich doch auch auszuziehen, kam die Antwort: "Den Bikini habe ich erst vorige Woche für - es folgte ein für mich astronomischer Betrag für ein bissken Stoff - gekauft, den ziehe ich doch jetzt nicht aus.

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Aria » Mi 24. Mär 2021, 21:43

Dem meisten, was du schreibst, kann ich zustimmen, nur dieser Aussage nicht – Zitat:
gymnosoph hat geschrieben:Nacktheit macht Menschen gleich. Kein Vorführen extravaganter Badebekleidung.
Auch nackten Menschen kann man ansehen, ob sie reich oder arm sind: Die Körper der Armen sind in der Regel weniger gepflegt, und wenn sie den Mund aufmachen, wird der Unterschied noch klarer. Dazu müssen nicht mal was sagen.

Das Vorführen der extravaganter Badebekleidung kann es natürlich geben, wie es auch „Skifahrerinnen“ gibt, die keine sind: Sie fahren mit dem Sessellift zur Jausenhütte, sonnen sich da – und fahren mit dem Lift wieder ins Tal, ohne die teure Ausrüstung ein einziges Mal zu benutzen. Aber die sind genauso eine Minderheit wie die von dir beobachtete Badende.

 
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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Tim007 » Mi 24. Mär 2021, 22:04

Aria hat geschrieben:
Wir haben die soziale Gesetzgebung nicht den Kirchen, sondern der Sozialdemokratie zu verdanken.


Kirchen sind für die Gesetzgebung zuständig.
Und Bismarck war Sozialdemokrat.

Toll, was man hier alles lernt.

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Craigposner » Do 25. Mär 2021, 00:41

Aria hat geschrieben:Auch nackten Menschen kann man ansehen, ob sie reich oder arm sind: Die Körper der Armen sind in der Regel weniger gepflegt, und wenn sie den Mund aufmachen, wird der Unterschied noch klarer. Dazu müssen nicht mal was sagen.


"Sei es in Form eines Mottos oder Gedankensplitters bei der Lektüre im Zuchthaus oder bei dem Durchfliegen eines Zeitungsblatts - irgend einmal ist mir die Anschauung oder Sentenz entgegengetreten: dass der Zustand, in dem die Natur uns hervorgebracht, dass die Nacktheit gleichmacherisch sei und zwischen der blossen Kreatur keinerlei Rangordnung oder Ungerechtigkeit mehr obwalten könne. Diese Behauptung, die sofort meinen Ärger und Widerstand weckte, mag dem Pöbel wohl schmeichelhaft einleuchten, allein wahr ist sie im geringsten nicht, und beinahe könnte man richtigstellend erwidern, dass die wahre und wirkliche Rangordnung erst im ursprünglichen Zustand sich herstelle und dass die Nacktheit nur insofern gerecht zu nennen sei, als sie die natürlich-ungerechte und adelsfreundliche Verfassung des Menschengeschlechts bedeute." (Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, 5. Kapitel)

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Bummler » Do 25. Mär 2021, 11:36

Tim007 hat geschrieben:Kirchen sind für die Gesetzgebung zuständig.
Und Bismarck war Sozialdemokrat.

Toll, was man hier alles lernt.


Das ist das Schöne an diesem vor Vielfalt nur so strotzendem Forum.

Auch dieser Satz verzückt mich regelrecht:
Aria hat geschrieben:Auch nackten Menschen kann man ansehen, ob sie reich oder arm sind: Die Körper der Armen sind in der Regel weniger gepflegt, und wenn sie den Mund aufmachen, wird der Unterschied noch klarer. Dazu müssen nicht mal was sagen.


Die Assoziation von Armut mit Schmutz und Dummheit ist ja nicht neu, aber ich wähnte mich in dem Glauben das sie überwunden wäre.

Es ist wirklich toll, was man hier alles lernt.

Auch das die Erkenntnise eines Hochstaplers gar als Argument herbei gezogen werden, um der Gleicheit der Nackten den fröhlichen Garaus zu machen, das hat schon etwas zutiefst Intellektuelles.

Danke dafür

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Aria » Do 25. Mär 2021, 13:56

Tim007 hat geschrieben:Toll, was man hier alles lernt.
Ja, von mir kannst auch du einiges lernen. :D

Zitat aus Wikipedia: Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, später kamen Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut hinzu. Diese sollten weitgehend staatlich kontrolliert sein – zeitweise sprach Bismarck sogar von Staatssozialismus. Er wollte so „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“

„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“
– Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S. 195/196


Und ein weiteres Zitat: Die Einführung der Sozialversicherung wird als eine große Leistung Bismarcks gesehen, auch wenn das Ergebnis schließlich nicht ganz so ausfiel wie geplant. Dies gilt nicht nur für die Struktur der Versicherungen, sondern vor allem für das Ziel, mit ihrer Hilfe die Arbeiter von der Sozialdemokratie fernzuhalten.

Im Übrigen hat Biden nun den gleichen Weg eingeschlagen – Zitat aus der Süddeutschen von heute (leider hinter der Bezahlschranke): Stehen die USA vor einem massiven Ausbau des Sozialstaats? Wird das Land zu einer Sozialdemokratie europäischer Prägung? Hat das alles sogar bereits begonnen? Zwei Monate erst ist Joe Biden im Amt, und plötzlich stellen sich Fragen, die man in seiner Präsidentschaft eigentlich nicht erwartet hätte.
(…)
Biden hat mit dem Rettungspaket nicht nur das größte Konjunkturprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg durchgebracht, mit einmaligen Direktzahlungen, die einer vierköpfigen Familie 5600 Dollar einbringen. Er hat damit, neben vielen anderen Maßnahmen, auch kurzerhand eine neue Sozialleistung eingeführt, die in den USA noch bis vor Kurzem undenkbar war: ein bedingungsloses Kindergeld nach europäischem Vorbild. Die meisten amerikanischen Eltern erhalten nun 300 Dollar monatlich für jedes Kind unter fünf Jahren und 250 Dollar für Kinder bis 17 Jahre. Nicht als Steuergutschrift, sondern als Überweisung auf ihr Konto.
(…)
Geht es nach Biden, hört es dabei nicht auf. Diese Woche sickerten über die US-Medien die Eckwerte des nächsten Projekts durch, das vom Weißen Haus vorangetrieben wird. Es handelt sich um ein Infrastrukturprogramm, wobei Infrastruktur sehr vieles meint: Investitionen in Amerikas marode Straßen, Brücken und Stromnetze. Investitionen in den ökologischen Umbau der Wirtschaft sowie in den Klimaschutz. Und schließlich: Investitionen in das, was man die soziale Infrastruktur nennen könnte. Die Rede ist von einer staatlich finanzierten Kinderbetreuung, einer bezahlten Elternzeit sowie einer kostenlosen Ausbildung an den praxisorientierten Community Colleges.
(…)
"Falls das Kindergeld tatsächlich dauerhaft eingerichtet wird, falls die Elternzeit kommt und die finanzierte Kinderbetreuung, dann wäre das ein enormer Umbruch", sagt Lane Kenworthy, Soziologe an der University of California in San Diego, der über Sozialpolitik und Ungleichheit forscht. "Die USA würden sich damit ein ganzes Stück in Richtung Sozialdemokratie bewegen."

 
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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Tim007 » Do 25. Mär 2021, 14:54

Bismarcks Sozialgesetzgebung war ein Meilenstein.

Dass er sich die Arbeiter/Besitzlosen gewogen machen wollte, vermag daran nichts zu ändern. Wohl dem Politiker, der erkennt, wo und wann gehandelt werden muss.

(Ich hätte nie gedacht, dass diese Feststellung so aktuell sein könnte).

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Re: Dokumente des Gesellschaftlichen Wandels II

Beitrag von Bummler » Fr 26. Mär 2021, 10:46

"Die USA würden sich damit ein ganzes Stück in Richtung Sozialdemokratie bewegen."


Ja da hat bei Joe ein Umdenken eingesetzt, einfach aufgrund der Fakten.
Die steigende Ungleichheit bei stagnierenden oder sinkenden Einkommen bekümmert ihn. Dass im Jahre 1970 volle 90 Prozent der Dreißigjährigen mehr verdienten als ihre Eltern, im Jahre 2010 nur noch 50 Prozent und heute kaum noch jemand, zerstört den amerikanischen Traum.


Und! Er hat die Ursache gesehen:
Einkommensungleichheit, weitverbreitete Kinderarmut und wirtschaftliche Nichtabgesichertheit (precarity) sieht Biden als die Probleme unserer Zeit. So schwört er der Austerität ab, und auch der trickle-down-Theorie erteilt er eine Absage – der Behauptung nämlich, dass Steuererleichterungen für die Reichen der ganzen Wirtschaft nützten, weil der Wohlstand der Privilegierten zu den Ärmsten nach unten durchsickere.


Schau an, schau an. Wer hätte das gedacht. Das hätte ich zwar nur Bernie Sanders zugetraut, aber anscheinend reden die miteinander.
https://www.zeit.de/politik/ausland/202 ... r8/seite-2

Da hatte ich vor Wochen mal darüber geläster, dass die Demokraten in den USA den Sozialismus einführen wollen und nun tun die das zwar nicht, aber für amerikanische Verhältnisse ist das was passiert trotzdem erstaunlich.
Deshalb hat Biden beim letzten Gipfel wohl auch Frau Merkel so angebaggert, weil er möglicherweise etwas von Deutschland kopieren will. Aber das sollte er lieber nicht tun, sondern eher nach Dänemark gucken, wenn er mich fragt.

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