von Puistola » Di 31. Mär 2015, 22:55
Eben gerade weil ich mich intensiv mit der Sache befasst habe,
lieber Tim, schliesse ich mich weder der Pro-noch der Contra-
Screening-Frakion an. Zu viele offene Fragen, als mehr als ein
Glaubensbekenntnis abzugeben, und wie Du weisst, ist Glauben
meine Sache nicht.
Behandlungsmöglichkeit?
Je nun, wenig fortgeschrittene, wenig aggressive Tumoren in älteren
Männern lässt man ganz einfach vor sich hinwachsen. Viele sterben
dann an was ganz anderem. Wenn es weh tut, behandelt man (Watchful Waiting)
Bei jüngeren Männern startet man bei solchen Tumoren ein aufwändiges
Beobachtungsprogramm mit wiederholten Biopsien (eine hochnotpeinliche
Prozedur) und PSA-Überwachung. Werden Schwellenwerte überschritten
geht es weiter wie unten. Damit leben Viele einige Jahre mit guter
Lebensqualität, aber die dauernde Krebsangst läss manchen das Programm
frühzeitig abbrechen (Active Surveillance).
Mittelaggressive Tumoren werden zumeist operiert, das heisst, man schneidet
die ganze Prostata raus, mit allen Konsequenzen. Diese Schwere, vielstündige
OP artet öfter in ein regelrechtes Blutbad aus, und kaum einer kommt ohne
Bluttransfusionen aus ( ich schon). Dabei werden auch regionale Lymphknoten
entnommen, um sie auf Metastasierung zu überprüfen (hatte ich). Öfter
erweist sich nach der OP der Tumor als aggressiver als angenommen.
Etwa gleichwertig ist die Bestrahlung der Prostata, wobei Blase und Darm
unweigerlich auch ihren Anteil abbekommen, weil das alles so eng zusammenliegt.
Man liegt dabei rund dreissig mal unter der Strahlenkanone, wobei man aus
unterschiedlichen Richtungen beschossen wird, um benachbartes Gewebe zu
schonen. Das macht man, wenn Mann zu fett ist, aus anderen Gründen keine OP
erträgt oder schlicht nicht operiert werden will.
Bis dahin ist alles auf Heilung ausgerichtet, oder genauer gesagt die vollkommene
Entfernung oder Zerstörung der Krebszellen. Mit den Nebenwirkungen muss man
sich dann oft lebenslänglich rumschlagen.
Aggressive und hochaggressive Tumore der Prostata werden zwar auch gelegentlich
operiert oder bestrahlt, etwa um die Harnröhre vorm Zuwachsen zu schützen
oder die Tumormasse zu reduzieren. Aber im Vordergrund steht da die Hormon-
Therapie, die das Weiterwachsen des Tumors um Monate bis Jahre aufschieben
kann, aber niemals heilt. Verfettung, Müdigkeit, Muskelschwund, reduzierte
Konzentrationsfähigkeit und Erinnerungsvermögen, Depression, Brustwachstum,
Libidoverlust, Schweissausbrüche und Hitzewallungen sind so in etwa, was man
gegen ein vielleicht verlängertes Leben eintauscht. Diese Therapie gibt es in Varianten
und seit kurzem auch in einer mindestens ebenso belastenden zweiten Linie, die grad
mal € 25'000.-/Jahr kostet und wieder einige Monate Lebenszeit bringen mag. An deren
Ende steh ich jetzt wohl oder übel.
Weiter gibt es Chemotherapie mit meist geringem Erfolg und, im vergleich zu
anderen Chemos "mässigen" Nebenwirkungen, aber lange Nacktwanderungen
wird danach keiner mehr unternehmen.
Ferner noch allerlei Exoten wie Immuntherapien, radioaktive Infusionen,
Fokale Hitzetherapien für einzelne Metastasen, die sich alle im Glaubens-,
Versuchs- oder Studienstadium befinden.
Wer den Prostatakrebs nicht per Screening findet, wird Jahre später
Knochenschmerzen oder brüche haben zufolge von Metastasen.
Oder auch in Lunge, Leber, Niere etc. setzen die sich gerne an oder in
Lymphknoten längs der Hauptschlagadern.
Das ist öfter auch der Fall trotz "rechtzeitiger" Primärtherapie, weil
Metastasierung stattfinden kann in einem sehr frühen Stadium, das
noch auf keine Weise, auch nicht per Screening, nachgewiesen
werden kann. Dann bleiben meist nur noch Hormon- und Chemotherapie,
jeweils von beschränkter Dauer und mit entsprechender Toxizität.
Da dies Herz und Kreislauf schädigt, hat man eine gute Chence, nicht
zu den Opfern des Prostatakrebses gezählt zu werden, sondern einen
kardiologischen Tod zu sterben. Daher wohl die vergleichbare Gesamt-
Sterblichkeit von Kohorten mit und ohne Screening.
Bei Brustkrebs, um beim Thema zu bleiben, verhält es sich ähnlich.
Carpe diem!
Puistola