von BOeinNackter » Sa 15. Dez 2018, 17:36
Das Tema, Nacktheit- Schamgefühl- Grupendynamik findeich in den letzten Seiten nicht so recht wieder. Irgendwie gibt es da einen Diskurs über Natur, Kultur und Mensch. Statt vieler Antworten schreibe ich jetzt mal was längeres.
Wir Menschen sind Teil der Natur und es gibt vieles, das wir zu unserer Natur rechnen können. Natürlich ist unser Körper mit allen Organen. Natürlich sind uns offensichtlich auch ein Streben nach Wohlergehen und möglichst erfolgreicher Weitergabe unserer Gene. Zu unserer Natur gehört auch, dass wir reden und unsere Sprache verstehen können, dass wir über uns und unsere Natur nachdenken und uns darüber austauschen können, dass wir Bindung zu Gemeinschaften suchen, die uns Sicherheit geben, dass wir Lebensräume erobern und verteidigen wollen, dass wir Dinge und andere Lebewesen als Mittel zum Zweck nutzen können, dass wir unseren empfindlichen Körper vor Kälte, Nässe, Sonne, Krankheit und Gewalt schützen wollen, dass wir uns auch durch Schmuck, Kleidung und Bodyforming erhoffen, schöner, stärker, gesünder oder attraktiver wirken zu können. Ist nicht alles, was wir Menschen bauen und erfinden, etwas, das zu unserer Natur gehört?
Sexualität gehört zu unserer Natur. Sie hat nicht nur Bedeutung für die Fortpflanzung, sondern auch dafür, Partnerschaften zu begründen und zu erhalten oder uns wohlige, befriedigende Gefühle zu verschaffen. Unsere Leidenschaften für alles Mögliche und unser Streben nach Glück werden in unterschiedlicher Weise mit dem Eros in Verbindung gebracht und so irgendwie auch mit unserer Sexualität. Wer übrigens behauptet, Sexualität sei nur natürlich und habe nichts mit Kultur zu tun, folgt einfach und schlicht sexualfeindlichen Traditionen. Es ist sexfeindliche Propaganda.
Kultur, etwas von Menschen gestaltetes, zu schaffen, gehört doch eigentlich auch zu unserer Natur. Die Trennung der Welt in Natur und Kultur ist wie Einteilungen in Körper, Geist und Seele zweifelhaft, wenn es um die wirklichen Grenzen und Definitionen geht. Manche suchen immer noch danach, was Menschen haben, Tiere aber nicht. So gibt es wohl tatsächlich kein Tier, dass sich so schnell auf seinen Beinen umdrehen kann, wie wir Menschen. Diese Fähigkeit ist aber natürlich auch Teil unserer Natur. Wir wissen heute, dass viele Tierarten die Fähigkeit haben, sich Umweltbedingungen durch neu entdeckte und weitergegebene Fähigkeiten anzupassen, die Werkzeuge benutzen, denen es gelingt, ihre Umwelt zu gestalten, die empathisch und uneigennützig handeln können und den Gruppenzusammenhalt mit Geschenken fördern. Sicher sind wir da etwas weiter, wenn man sieht, wie es uns gelingt durch Verhandlungen in der Uno, der EU, auf Klimakonferenzen und mit Handelsabkommen versuchen, den globalen Mächten Grenzen durch Regeln zu setzen. Leider haben wir damit auch schon in unseren Familien und Nachbarschaften Probleme. So sieht es aus, mit unserem Ringen um Zivilisation.
Wir reden ja heute gern von Ganzheitlichkeit, wenn wir uns als Menschen betrachten. Ein Ganzes aus Körper, Geist und Seele? Eigentlich bedeutet Ganzheitlichkeit, zu sehen, dass in unserem Körper schon alles andere drin ist und alles, was in ihm passiert gleichzeitig in Geist und Seele Entsprechungen hat. Fakt ist, dass wir das zwar ahnen, aber noch längst nicht alle Verdindungen kennen. Wenn wir uns an etwas erinnern, uns verlieben oder wenn wir eine ganz neue Idee haben, wissen wir nichts davon, was da eigentlich in unserem Nervensystem abläuft. So können wir immer noch manche Sachen besser als geistig oder psychisch beschreiben.
Fakt ist auch, dass es irgendwelche Grenzen unseres Denkens gibt, solange wir noch nicht alles gründlich verstanden haben. Dieser Moment ist für uns so etwas wie der Schnittpunkt von parallel laufenden Linien.
Es gibt unendlich viele großartige Ideen darüber, wie die Welt funktioniert. Alle sind Hypothesen und keine kann von sich behaupten, wahr und ewig gültig zu sein. Wer behauptet, etwas offenbart bekommen zu haben, hat nur einen Weg gefunden, Gläubige an sich zu binden und seinen Einfluss, also seine Macht zu vergrößern. Solche "Offenbarungen" sind einem freien Diskurs im Wege. Dazu sind sie ja da.
Unsere Kulturen oder Zivilisationen sind bestimmt durch unsere Art zu fühlen, zu sehen, zu riechen, uns zu bewegen, angst zu haben und uns für etwas zu begeistern, etwas zu lieben und etwas zu hassen oder ekelig zu finden. Wir Menschen sind aber durch unsere Natur in der Lage, Wege zu finden, unsere Sinne zu erweitern, unsere Agressionen zu hemmen oder umzuleiten, zu lernen, wie wir besser mit uns selbst und miteinander umgehen können. Was gut und richtig ist, muss immer wieder neu heraus gefunden werden und wir müssen uns in kleinen und grossen Gruppen darauf neu einigen.
Die Scham ist ein, uns von der Natur mitgegebener Weg, uns dazu zu bewegen, uns an solche Vereinbarungen zu halten. Die Scham spart einigen Druck durch Strafen ein, die sonst nötig wären, um eine Einhaltung von Regeln zu sichern. Die Scham, unsere Sexualorgane offen zu zeigen, können wir also getrost zur Diskussion stellen und neue Vereinbarungen zu den Bedeckungsregeln anstreben. Auch, wenn es eine irgendwie naturwüchsige Nacktscham gäbe, wäre es vorstellbar, zu lernen, damit anders umzugehen. Eigentlich sollten wir nicht zwischen naturgegeben und erlernt unterscheiden. Manche Gefühlswege ober Verhaltensweisen sind einfach leichter oder schwerer zu ändern. Danach können wir sie unterscheiden und bei Bedarf überlegen, wie sich schwer zu ändernde Schamgefühle abschwächen oder beseitigen lassen.
Wenn muslimische Frauen sagen, sie fühlten sich ohne Kopfbedeckung entblößt, ist es verständlich, dass es ihnen auch deshalb nicht leicht fällt, ohne Bedeckung raus zu gehen. Trotzdem schaffen es immer mal einige und manche sind dann sogar zufriedener als vorher. Immerhin gibt es einige, die mit unbedeckten Frauen Umgang haben oder sich in einen Burkini zwängen, nur um mit weniger bekleideten schwimmen zu können. Eigentlich sollten sie ja diese unbedeckten Frauen verachten. Ich fände es großartig, wenn mehr Frauen und Männer bei Nacktwanderungen auf ihre Bekleidung verzichten würden, bin aber auch froh über jene, die überhaupt mitgehen. Ich würde mich unheimlich freuen, wenn Männer und Frauen mit mir tanzen würden, vielleicht auch nackt. Menschen, die sich ihre Scham zu tanzen und sich nackt zu bewegen abgewöhnen wollen. Ich glaube so etwas ist durchaus mit unserer Natur und Zivilisation vereinbar. Ich glaube sogar, dass es nötig ist, uns als diese unsere Körper wahrzunehmen, um dem, was wir sind und was wir brauchen und wollen näher zu kommen. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, einen freieren, individuellen und unabhängigeren Geist zu entwickeln, der auch die Mitmenschen und künftige Generationen wertschätzt, mit dem was sie brauchen und wollen.
Ich finde die Idee großartig, statt einer ewigen Wahrheit ein kreatives, für alle Beteiligten vorübergehendes, sinnvolles, gemeinsames Ergebnis zu suchen, muss aber zugeben, dass ich auch gern recht habe.