@ Campingliesel
Mit deinen Ausführungen gehe ich insofern einig, dass sich unsere Gesellschaft nicht zu einer nackten Gesellschaft entwickeln wird. Dieses ist ja auch nicht erforderlich. Bei diesem Thema hier geht es doch nur um die Schaffung einer Toleranz denen gegenüber, die sich nackt in der Öffentlichkeit bewegen wollen. Auch ich halte nichts von einem Tausch des Zwanges, vom "Anständig-Sein-Müpssen" und bekleidet zu gehen zum "Modern-Sein-Müssen" und nackt zu gehen. Mein Ziel ist es, zu solch einem "Gemischtwarenhandel" zu kommen, wie ich es damals in der noch DDR erleben durfte. Dort waren die Nackten und die Bekleideten friedlich miteinander auf einem offenem Gelände. Keiner nahm Anstoss am Anderen oder musste ich darüber lustig machen. Es war einfach normal, wenn mein Gegenüber Kleidung trug oder eben nicht. Diese Toleranz sollten wir erreichen.
Wenn es schon unmöglich ist, wie hier oft gesagt wurde, daß die überzeugten FKKler im weitgehend ursprünglichen Sinne die Leute davon überzeugen können, daß öffentliche Sexualität am FKK-Platz nicht dazugehört, sondern viele Leute diese darin mit einbeziehen wollen, dann wird das Ziel, die Nacktheit als selbstverständliche Lebensweise zu sehen erstrecht nicht erreicht werden.
Hier bin ich voll und ganz bei dir. Auch innerhalb der Nacktheit gibt es Grenzen, die einzuhalten sind.
@ Aria
Eule hat geschrieben:
Befreien kann ich mich nur von den Handlungsfolgen, die mir aufgezwungen wurden und die ich nicht verinnerlicht habe und somit aus einer Fremdbestimmung heraus handeln muss.
Widerspruch: Verinnerlichung ist kein Kriterium.
Dein Widerspruch wirft jetzt ein großes Streitthema auf. Dieser Streit läuft über die Frage, ob ich einen Lerninhalt, den ich so gelernt und nicht hinterfragt habe, verinnerlicht habe oder nur brav einer Anweisung einer höheren Instanz folge. Ist diese Bravheit ein Zeichen von einer Verinnerlichung und Akzeptanz des entsprechenden Lerninhaltes? Ich persönlich vertrete die Meinung, dass dieses nicht zutrifft. Ja, es gibt viele Fremdbestimmungen, denen wir im Laufe unserer Entwicklung unterworfen werden und die wir dann befolgen, weil wir diese befolgen mussten. Daraus kann sich eine Gewohnheit entwickeln, die niemals hinterfragt wurde. Viele Moralapostel handeln und argumentieren aus einer Gewohnheit heraus, die nicht gefährdet und hinterfragt werden darf, da man ja dann gezwungen würde, eine Entscheidung zu fällen. Und bei einer Entscheidung könnte man sich irren und somit falsch liegen.
Als junger Mensch erkennt man den Zwang gar nicht als solchen: Für mich als 17-jährige war die Welt völlig in Ordnung so, wie sie mir durch meine Umgebung vermittelt worden ist: Ich habe sie voll verinnerlich.
Nach meinem Verständnis hast du dieses nicht verinnerlicht, sondern du warst brav. Ich meine dieses jetzt nicht ironisch. Ich persönlich war auch eine sehr lange Zeit gezwungen, brav zu sein. Es hat viel Kraft gekostet, sich hieraus befreien zu können.
Aber später habe ich in der Großstadt eine andere Welt kennengelernt: Ich erkannte dort die Rückständigkeit, die in meinem Geburtsort herrschte und immer noch herrscht, wenn auch jetzt auf einem geringfügig anderen Level.
Ich habe ja einen Teil dieser deiner Entwicklung mitbekommen. Zuerst die Verwunderung, dass dieses alle auch anders geht. Dann die Ablehnung der gelernten Lerninhalte bis hin zum totalen Protest. Und jetzt könnte die wichtigste Phase laufen, nämlich das neubewerten der Lerninhalte und das Finden der Entscheidung, wie das eigene Leben ausgerichtet werden wird. Und diese Phase bezeichne ich als Prozess der Verinnerlichung. Denn nach einer Verinnerlichung musst du weder brav oder böse sein, du hast einen eigenen Standpunkt gefunden und kannst diesen vertreten.
Wäre ich aus jener Kleinstadt nicht herausgekommen, ich würde wahrscheinlich heute noch die Meinung vertreten, dass dort größtenteils alles richtig sei, während in der Großstadt überwiegend Gauner und Perverse leben, die keinen Gott und – ganz wichtig – keine Scham kennen.
Hier stimme ich dir zu. Diese Meinung hätte sich bilden können, jedoch nicht unbedingt. Der Bruch mit den alten Lehrmeinungen hätte dann eventuell länger gedauert und wäre also nur schrittchen für schrittchen erfolgt. Bei einer Freundin von mir, genauso alt wie ich es bin, habe ich gesehen, was mit einem Menschen passiert, der sich aus solch einer behindernden konservativen Erziehung nicht hat befreien können, obgleich sie viele Ortswechsel in ihrem Leben vorgenommen hatte.
BOeinNackter hat es schon so ähnlich gesagt: Wir können nur Grenzen überwinden, wenn wir erkennen, dass sie uns einengen.
Nein, BOeinNackter sprach nicht vom kennenlernen der Grenzen, er sprach vom Überschreiten der Grenzen. Und dieswer Notwendigkeit, die Grenzen überschreiten zu müssen, um diese zu überwinden, habe ich widersprochen. Ich verändere eine Grenze, die mich behindert und verschiebe sie also bis zu der Position, die ich als richtig und so berechtigt empfinde und erkenne. Beides ist eine Grenzverletzung. Nur mit dem Unterschied, dass in der Argumentation von BOeinNackter nicht ersichtlich ist, dass er Grenzen akzeptiert und selber setzt, seine Bewegungsfreiheit also einschränkt. In meiner Erklärung wird die Grenze korrigiert, aus einem zu eng gesetzt wird ein jetzt richtig gesetzt. BOeinNackter könnte dem Irrtum erlegen sein, dass Freiheit nur grenzenlos möglich ist. Freiheit verlangt jedoch eine Begrenzung. Nur setze ich diese Begrenzung selbst.
Wer zufrieden mit dem Status Quo ist, der sieht vielleicht diese Grenzen auch, aber er hat sie als richtig erkannt und verinnerlicht, so dass er Menschen, die das nicht so sehen, oft gar nicht versteht oder sie gleich unter die Gauner und Perverse einordnet, was ihn übrigens von der Pflicht entbindet, sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.
Dieser Satz ist ein Hammer. Denn er ist nicht so einfach zu beantworten. Da sind soviele Sachverhalte eingebunden, die sehr schwierig auseinander zu nehmen und dann zu besprechen sind. Ich will jetzt nicht alle Möglichkeiten erörtern, die dieser Satz enthält. Ich halte mich jetzt streng an den Wortlaut.
Wer zufrieden mit dem Status Quo ist, der sieht vielleicht diese Grenzen auch, ...
Ja, hier kasnn ich dir zustimmen.
... aber er hat sie als richtig erkannt und verinnerlicht,
Hier gehe ich mit dir nicht mehr einig. Denn es könnte ja sein, dass dieser Mensch nur brav ist und die gesetzten Grenzen nicht hinterfragt hat. Dann würde dieser Mensch zwar sich an diese Grenzen halten, weil er brav ist, aber er handelt im Grunde genommen nicht frei, weil seine eigene Entscheidung fehlt.
... so dass er Menschen, die das nicht so sehen, oft gar nicht versteht oder sie gleich unter die Gauner und Perverse einordnet, was ihn übrigens von der Pflicht entbindet, sich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.
Das ist die Haltung des braven Menschens, der sein Handeln nicht hinterfragt und ein anderes Verhalten nicht dulden kann, da er sich dann einer Entscheidung stellen muss. Diesen Bürger bezeichne ich als einen "braven und unfreien Bürger". Weiter zeichnet dieser sich durch eine ausgesprochene Intoleranz aus. Der Bürger, der seine Werte verinnerlicht hat, hat die Freiheit, das Verhalten anderer Bürger zu tolerieren, auch wenn er von der Richtigkeit seiner eigenen Haltung überzeugt ist.
Der Bürger, der seine Lerninhalte verinnerlicht hat, steht ebenfalls nicht in der Pflicht, sich mit den Argumenten der Anderen auseinander zu setzen. Er kann es jedoch, aber eben nur dann, wenn er hierzu aufgefordert wird. Denn das Wesen der Freiheit verlangt nicht, sich stets zu allen Meinungen und Ansichten äußern zu müssen.
Du siehst, auch das Thema dieses Threads beinhaltet Aspekte der Freiheit.