Toleranz versus Akzeptanz
Zur Begriffsklärung: Toleranz, abgeleitet von dem lateinischen Verb tolerare, versteht sich als passives Verhalten im Sinne von Gewährenlassen oder Dulden. Dagegen versteht sich Akzeptanz als eine aktive Haltung und leitet sich ab vom lateinischen Verb accipere für gutheißen, annehmen, billigen. Es geht also bei Toleranz und Akzeptanz um zwei verschiedene Verhaltensweisen und das ist im Sprachgebrauch zu beachten.
Mir geht es hier im Wesentlichen um die Toleranz. U. A. als Verfassungspatriot weiß ich die Möglichkeit in Deutschland aus Artikel 2 des Grundgesetzes zu schätzen, eine freie Entwicklung meiner Persönlichkeit, die dort nicht in engen Grenzen definierten ist, zu leben. Freiheit verlangt als Voraussetzung Toleranz, und ist in der Lebensführung, Wissenschaft, Kunst und Glauben nur den rechtlich notwendigen Einschränkungen ausgesetzt.
Eine solche Freiheit zu leben, bedarf aber auch eine größeres Maß an Selbstbe-wusstsein und ist nichts für Angsthasen, Kleinmütige und Verzagte. Hier im Forum geht es immer wieder um den Verzicht auf Kleidung im öffentlichen Raum. Und die Frage nach Akzeptanz bzw. Toleranz wird aufgeworfen. Leicht ist das Leben - insbesondere für Angsthasen, Kleinmütige und Verzagte – in einer sozialen Gruppe deren Moralvorstellungen zu entsprechen und eigene Freiheitsvorstellungen (Verzicht auf Kleidung…) zurückzustellen. Also ggf. lieber Kleidung tragen. Man wird dann akzeptiert und muss nicht Toleranz einfordern. Solche Zeitgenossen sollen sich dann nicht beklagen, ihr Leben nicht individueller gestalten zu können.
Es geht auch anders. Die gegebene Freiheit zu nutzen und Toleranz einzufordern oder auch auf Toleranz einer sozialen Gruppe zu verzichten. Toleranz ist nicht einklagbar und nicht gewährte Toleranz nicht strafbar. Aber auf Toleranz kann man zu Gunsten gelebter Freiheit auch verzichten.
Dazu einige weitere Überlegungen zur Toleranz
Unser kulturelles Selbstverständnis hat als wesentliche Basis u. A. den
Artikel 2 des Grundgesetzes:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, so-weit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfas-sungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Freie Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden heißt im Ergebnis eine hochdifferenzierte Gesellschaft hinsichtlich der praktizierten Lebensart der einzelnen Bürger. Also eine offene Gesellschaft im Sinne von Karl R. Popper. Eine Gesellschaft dieser Art – gemäß Grundgesetz – entwickelt sich nur unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Toleranz eines jeden Bürgers. Sie zeigt sich als Norm des Grundgesetzes, wenn auch nicht ausdrücklich formuliert, neben dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, andersartige Lebensarten zu tolerieren; zu dulden ohne sie ggf. zu akzeptieren. Diese wechselseitige Beziehung zwischen der Möglichkeit, der eigenen freien Gestaltung der Lebensart und der Toleranz anderen Lebensformen gegenüber, muss als Maß hoher Freiheit gesehen und begrüßt werden. Die Pflicht zur Toleranz ist so unbedingt mit Freude zu empfinden. Es erinnert an den zu schreibenden Aufsatz „Die Freuden der Pflicht“ in der Deutschstunde von Siegfried Lenz. Ohne Toleranz der anderen Bürger lässt sich die eigene Freiheitsliebe – die ganz subjektiv bestimmte eigene Lebensform - nicht leben.
Wenn das Grundgesetz die Pflicht zur Toleranz gebietet, besteht auch der Anspruch eines jeden anderen gegenüber auf Toleranz. Toleranz wird also nicht großzügig gewährt, sondern ist eine Selbstverständlichkeit jedem gegenüber, soweit dieser nicht konkrete Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Beim miteinander Leben in einer offenen Gesellschaft bedarf es also neben dem Verständnis zur Pflichtübung der Toleranz auch eines bestimmten Verständnisses der Rechtsordnung. Fehlt im Einzelfall ein solches Verständnis, kommt es zu Kollisionen, die ggf. nur eine Auflösung im Gerichtswesen finden. Gewalt als Gewaltmonopol hat nur der Staat.
Allgemeine Moralvorstellungen auch ggf. getragen von einer Mehrheit der Bürger erzeugen keine Verbindlichkeit zur Lebensführung eines jeden. Moral ist nicht mehr als gelernte Verhaltensweise einer bestimmten sozialen Gruppe; eine „richtige“ Moral gibt es nicht. In diesem Sinn – das Verhalten der Mehrheit ist richtig - ist auch der Begriff „Sittengesetz“ im Artikel 2 nicht zu verstehen. Respekt anderen gegenüber fordert das Grundgesetz, wenn es von „Sittengesetz“ spricht. Der heute suspekt gewordene Begriff „Sittengesetz“ kann nicht bedeuten, dass das, was eine eventuelle Mehrheit der Bürger für Sitte hält, Verhaltenspflichten erzeugt, die der grundgesetzlich verbrieften freien Entfaltung der Persönlichkeit – Artikel 2 – zu wider läuft. Es geht um die Freiheit in Artikel 2; und Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen. Und die Wahrheit, wie das Leben zu gestalten ist, hat keiner im Besitz; das lässt sich bis hin zu den griechischen Philosophen nachlesen.
Ich wünsche mir eine heftige Diskussion
BALTHASAR