@Bummler
Was ist sexuelle Befreiung? Das mit den 68ern stimmt zumindest zeitlich. Viele Protagonisten hatten nichts mit den demonstrierenden Studenten zu tun. Oswald Kolle z.B. oder die vielen Aufklärungsbücher aus der Vorkriegszeit, so z.B. van de Velde mit "Die vollkommene Ehe", von 1926 (sein Versuch, katholische Ehen zu retten), hatten wenig mit den 68ern zu tun. Adolf Koch, der schon in den 20ern seine Ideen einer Sexualreform versuchte zu verwirklichen, wurde in den 60ern auch deshalb aus dem DFK ausgeschlossen.
Viele Menschen traf die neue Art über Sex zu denken und zu reden sehr unvorbereitet. Es war zuerst eine Befreiung der Medien, mehr Nacktheit zeigen zu können und mehr unter dem Mantel der Aufklärung und Beratung über Sex zu schreiben. Manches, was damals in normalen Zeitschriften stand, würde heute als Pornografie durchgehen.
Meine Eltern gehörten sicher zu einer sehr verwirrten Generation. Was immer wieder empfohlen wurde, das unbefangene, offene Reden, auch über persönliche Bedürfnisse und Wünsche, fand nur selten so statt. Auch mit Kindern wurde nur selten unbefangen geredet. Wer hatte schon eine so unbefangene Haltung gegenüber der eigenen Sexualität. Mit welchen Worten reden wir über unsere Sexualorgane und mit wem?
Auch der Sexualkundeunterrricht in Schulen ist weit von einem offenen Diskurs entfernt. So wird immer noch nicht die wahre Gestalt der Klitoris gezeigt und Selbstbefriedigung ist immer noch ein peinliches, kaum behandeltes Thema.
Leider mögen inzwischen zu viele Menschen unter Problemen mit Sexualität gelitten haben. Vielleicht gibt es sogar Zusammenhänge mit Mißbrauchserlebnissen, durch missglückte Versuche von sexueller Offenheit.
Heute noch gibt es Mütter, die ihren Kindern die Augen zuhalten, wenn etwas Nacktes zu sehen ist, die über Nacktwanderer klagen, weil sie nicht wüssten, wie sie es ihren Kindern erklären sollten.Es gab Demonstrationen gegen Sexualkundeunterricht und Aufklärungsbücher. Versuche, ErzieherInnen und LehrerInnen zu befähigen, sexuelle Themen fächerübergreifend ansprechen und behandeln zu können, um das offene Reden zu befördern, sind ständig in der Gefahr, von Elternprotesten niedergemacht zu werden. Eltern haben mehr Befürchtungen, dass ihre Kinder Schaden nehmen, wenn sie sich ihren Kindern nackt zeigen. All diese Menschen haben Probleme mit der Idee einer sexuellen Befreiung und sie werden nicht zu denen gehören, die nackt baden oder wandern.
In den 70ern hatten wohl einige FKK-Vereine großen Zulauf. Das war aber keine Welle der sexuellen Avantgarde aus den 68ern. Sicher träumten manche von einem freien nackten Leben. Verbreitet und heute noch gern vertreten, ist die Idee einer sittlich reinen, unerotischen Campingkultur. Nacktheit sollte frei von Sexualität und Ideologien sein. Der Spruch, dass Nacktheit das Interesse an Sexualität sogar mindere, wurde gern gebraucht. Ein reines Freizeitvergnügen sollte es sein, unpolitisch, unreligiös und unanstößig. Familiensport sollte im Vordergrund stehen. Einzelmänner und vor allem Schwule wurden ausgeschlossen und stehen heute noch unter mißtrauischer Beobachtung. Ich kenne viele ältere Paare, die darum trauern, dass ihre Kinder dieser engen Familienwelt entflohen sind. Es ist traurig. Ich glaube aber, dass auch solche mißlungenen Versuche in der Zukunft wirken werden. Vieleicht sind es erst die Urenkel, die es noch einmal angehen.
Heute kommt die Sexualität merkwürdigerweise mit der Normalisierung der Homosexualität wieder in den Blick. Heterosexuelle Menschen outen sich ganz selten zu ihrer sexuellen Orientierung. Haben wir nicht alle eine sexuelle Orientierung?
Wenn ich erlebe, wie erschrocken manche FKKler reagieren, wenn ich von nacktem Yoga, Nacktwandern, nacktem Tanzen und nackten Feten erzähle, fällt es mir schwer, bei ihnen so etwas wie sexuelle Offenheit zu entdecken. Schlimmer wird es, wenn dann nur noch ratloses Kopfschütteln und Gesprächsabbruch folgen.
Das offene Reden kennzeichnet für mich die Freiheit der Sexaulität. Über alles reden können heißt, dass man nichts für unaussprechlich hält. Dazu gehört auch die Befreiung von Scham. Wenn man nach der INF-Definition Naturist sein will, sollte man sich überlegen, was man an sich selbst und Anderen akzeptieren kann, warum es da Grenzen gibt und was uns hindert, die auch noch zu schleifen.
Ein schönes Beispiel wäre die, hier auch gern immer wieder aufgegriffene, Errektion. Das Thema ist einfach zu aufregend.