Aria hat geschrieben:
Leider hat sich in den letzten Jahrzehnten das Rad der Geschichte etwas zurückgedreht, so dass die einstige 1970er-Jahre Freiheit wieder verflogen, ja selbst zur Geschichte geworden ist. Und die Ironie dieser Geschichte ist, dass die Kinder jener, die in den 1960er und 1970er Jahren sexuelle Revolution betrieben oder zumindest toleriert haben, die damals errungene Freiheit gar nicht haben wollen.
Ich kenne deine Trauer um diese Situation. Natürlich finde ich das alles auch traurig. Inzwischen glaube ich aber, dass wir damals und in unserer Erinnerung nur einen Teil der Realität wahrgenommen haben.
68 ist jetzt 50 Jahre her und ich war damals 14. Ich ganz verdrängt, dass damals englische Rockmusik nur einer Randgruppe gefiel, dass Heino und Heintje in Deutschland mehr Platten verkauften als die Beatles, dass nur eine Minderheit die aufmüpfigen Studenten mochte und alles was sie machten galt als zutiefst unanständig. Es gab Oswald Kolle und Ideen, dass man schon Kinder sexuell erziehen sollte. Tatsächlich wurde über so etwas geredet. Eine Mehrheit wird das alles abgelehnt haben und wer etwas neues versuchte, wagte sich in unbekanntes Terrain. Was ich erlebt habe, war dieser aufregende Umschwung. Kaum wirklich aufgeklärt diskutierte ich mit Leuten in unserer Kirchengemeinde über den Zusammenhang von freier Sexualität und Frieden. Ich war auf so etwas nicht vorbereitet. Ich hatte das Gefühl, dass hier etwas mit großem Schwung losgeht, alles verändert und befreit. Mit 10 Jahren hatte ich begonnen von Freikörperkultur zu schwärmen. Da passte diese Entwicklung großartig. In meiner Ausbildung und mit meinen ersten Beziehungen mit Mädchen landete ich schnell auf dem Boden der Tatsachen. Die Enge war noch überall.
In den Vereinen, die ich später kennenlernte fand ich die gleiche enge Bürgerlichkeit wieder. Heute denke, ich dass die Orientierung an Familie ein Grund war, FKK unattraktiv zu machen. In den Vereinen gab es lauter traditionelle Familien, in denen die Väter noch das Sagen hatten. Manche waren sicher bewegt von den neuen Ideen in einen Verein eingetreten, hatten Kinder bekommen und bauten Wohnwagengelände mit Schwimmbädern auf. In den 80ern hatten viele Vereine ihre meisten Mitglieder. Von da an suchten die inzwischen erwachsenen Kinder das Weite. Wenn ich bei uns manche alten Eltern, besonders Väter, erlebe, die traurig an die gute alte Zeit denken, dann kann ich sie verstehen.
Ich sehe Hoffnung wenn Freikörperkultur für eine allgemeine Offenheit, Toleranz, Akzeptanz und gegenseitigen Respekt steht. Antworten auf die Frage, wie man es fände, nackten Wanderern zu begegnen oder nackt zu tanzen, können zeigen wie weit Gesprächspartner zu Toleranz und Akzeptanz oder gar Experimenten bereit sind. Es ist sicher nicht das einzige aber ein wirkungsvolles Reizthema. Sowohl von Textilern als auch von FKKlern kann man mit unterschiedlichsten Reaktionen rechnen. Es gibt nicht irgendeine Reinform der einen oder der anderen Sorte Mensch.
Eine Gesellschaft, in der es so viel Offenheit und Freiheit gibt, in der das Miteinander in Beziehungen, als Liebende, Nachbarn, Vereinsmitglieder usw. miteinander ausgehandelt werden, in der die Menschen neugierig den immer wieder neuen Situationen, Zufällen und Überraschungen begegnen, in der Improvisation und unkonventionelle Lösungen gesucht werden, das wäre meine Utopie einer freien modernen Gesellschaft. Ich werbe dafür, das Menschen die gern nackt sind, sich auch für solch eine wenig festgezurrte Welt engagieren. Leider werden gerade immer mehr Abgrenzungen gesucht und aufgebaut.
Hört also endlich auf, irgendwelche Ismen zu definieren. Vielleicht erlebe ich ja doch noch einen Silberstreif am Horizont.